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Infoabend in Gaustadt

Vortrag bei der KAB Bamberg-Stadt über die schwindende Mitte der Gesellschaft

Keine Gruppe hat den „Mehrheitsanspruch“

Jeder, der heute in der deutschen Gesellschaft lebt, gehört zu einer Minderheit. Es gibt keine dominanten, geschlossenen Milieus mehr und folglich kann es auch keine „Leitkultur“ mehr geben. Mit diesem Gedanken konfrontierte der Gaustadter Pfarrer Matthias Wünsche die Mitglieder des Kreisverbandes Bamberg-Stadt der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB).

Der KAB-Kreisvorsitzende Heinrich Hummel (stehend) begrüßte die Mitglieder zum Vortrag von Pfarrer Matthias Wünsche (Mitte sitzend) über das Leben als Minderheit. Foto: cid

Vortrag bei der KAB Bamberg-Stadt über die schwindende Mitte der Gesellschaft

Keine Gruppe hat den „Mehrheitsanspruch“

Jeder, der heute in der deutschen Gesellschaft lebt, gehört zu einer Minderheit. Es gibt keine dominanten, geschlossenen Milieus mehr und folglich kann es auch keine „Leitkultur“ mehr geben. Mit diesem Gedanken konfrontierte der Gaustadter Pfarrer Matthias Wünsche die Mitglieder des Kreisverbandes Bamberg-Stadt der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB), die auf Einladung der KAB Gaustadt zusammengekommen waren. Die Veranstaltung fand im Pfarrheim Gaustadt statt.

Hatten die KAB-Mitglieder beim Thema des Vortrags „Leben als Minderheit – wie damit zurecht kommen?“ an Minderheiten wie arabische Christen in Deutschland oder an Muslime in Bamberg gedacht, so machte ihnen der Referent schnell klar, dass sie selbst zu einer Minderheit gehören – und dass es in Deutschland eigentlich keine gesellschaftliche Gruppierung mehr gibt, die für sich einen Mehrheitsanspruch erheben kann.

Wünsche erzählte von der Hauptschule in Gaustadt, in der er unterrichtet. In einer Klasse gibt es dort Schüler mit neun unterschiedlichen Nationalitäten. In einer fünften Klasse sind ganze drei Schüler katholisch. Die Gesellschaft ist anders als je zuvor.

„Versäulung“

Der Referent erinnerte an die Vorgänger, die Ständegesellschaften, die es ab dem Mittelalter gab, an die „Versäulung“ im 19. und 20. Jahrhundert, wo es für die dominierenden Gruppen, Arbeiter und Bürgertum, eigene Parteien, Gaststätten, Wohnviertel gegeben hatte. Noch bis heute sind im Bereich seiner Pfarrei Reste davon erhalten. Es gibt zum Beispiel zwei Sportvereine und zwei Schützenvereine mit unterschiedlichen historischen Wurzeln.

Schon in der Weimarer Republik hatte es dann eine Zersplitterung, zum Beispiel bei den Parteien, gegeben, in der Zeit des Nationalsozialismus hatte als Gegenreaktion die Einheit im Zentrum gestanden. Noch in der Nachkriegszeit habe es eine „Gesellschaft der politischen Mitte“ gegeben, ohne extreme Mehrheiten und Minderheiten. Diese Gesellschaft war noch eine Wertegemeinschaft, obwohl Flüchtlinge, Landbevölkerung, Soldaten der Besatzungsmächte und ausländische Arbeitnehmer zu einer größeren Durchlässigkeit und zu größerer kultureller Vielfalt führten.

Heute gibt es, so zeigte Wünsche unter Hinweis auf die Milieu-Studien, die Konsumforscher erhoben haben, keine einheitliche Gruppe mehr in der Bevölkerung. Die bürgerliche Mitte und die Traditionalisten, die Milieus, die einen engeren Bezug zur Kirche haben, machten nur noch etwa 30 Prozent der Bevölkerung aus. In anderen Milieus sei dieser Bezug wenig oder auch gar nicht vorhanden. „Die Mitte unserer Gesellschaft wird zunehmend weniger“, stellte der Geistliche fest.

Und das hat Konsequenzen. Weder im Konsumverhalten noch in den Wertvorstellungen gebe es noch eine Mehrheitsüberzeugung. Denken, Glauben, Handeln seien sehr verschieden. „Absolute Werte werden immer weniger Allgemeingut sein.“ Dabei nannte er zum Beispiel die Aufweichung von Vorstellungen zum Umgang mit Menschen am Ende ihres Lebens oder auch zum Generationen-Vertrag, der der Krankenversicherung zugrunde liegt.

Die Separierung der Gesellschaft dürfe jedoch nicht dazu führen, dass der Schwache Opfer des Starken werde, forderte Wünsche, dass der Schwache Opfer des Starken werde.

In einer vielgliedrigen Gesellschaft, in der jeder in der Minderheit lebt und kaum eine Überzeugung mehr als „selbstverständlich“ vorausgesetzt werden kann, seien Kenntnis, Achtung und Toleranz notwendig um das Zusammenleben der Menschen friedlich zu gestalten. Und auch die Grundwerte, etwa die Menschenrechte, müssten immer wieder neu erstritten, begründet und festgeschrieben werden. Die Gesellschaft werde sich weiter individualisieren, vermutete der Referent. Ein „Rückwärts“ könne und solle es jedoch nicht geben.                                           

Christiane Dillig

Quelle: Heinrichsblatt, Nr. 51/52, Ausgabe B, Seite 23, vom 18./25. Dezember 2011

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