KAB Bamberg

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Wissenschaft! Wer schafft Wissen? Oder: wer schafft an?

Dr. Siegfried Ecker 27.05.2013

Mehrere Anlässe lassen mich empört reagieren.
Da gab es einen einflussreichen katholischen Sozialethiker (Markus Vogt beim KAB-Bundesausschuss), der von der „Verflüssigung aller Gesellschaftsbereiche“ sprach. Das sollte wohl eine seriöse wissenschaftliche Aussage sein.
Da gab es einen renommierten Sozialphilosophen (Michael Reder bei der Mitgliederversammlung der KEB Bayern), der von der „Pluralisierung“ aller gesellschaftlichen Bereiche sprach. Und davon, dass die Wissenschaft keine Politik mache. Dazu seien Politiker da.
Da gab es einen Stadtdekan, der von einem „modernen, wissenschaftlich geprägten Weltbild“ sprach (Hubertus Förster auf der Homepage der Nürnberger Stadtkirche).
Da lese ich ein Interview mit einem der immer noch gefragten „Intellektuellen“ der SPD (Erhard Eppler in der taz). Für den gab es bei der Frage zur Agenda 2010 gar keinen Zweifel, dass ein schuldenfinanziertes Konjunkturprogramm damals falsch war. Denn das schlugen ja die Gewerkschaften vor. Hatten und haben denn die keine Wissenschaftler auf ihrer Seite, Herr Oberlehrer? Das sagt er 2013, auch wenn nach 5 Jahren Krise in Europa klar ist, dass eine Politik des Sparens bei den „kleinen Leuten“ nur den wenigen Großen Vorteile bringt.

Wer nicht mit den Scheuklappen der Mehrheitsmeinung in Medien und Lehrstühlen durch die Welt geht, stellt anderes fest.
Da verflüssigt sich nicht die Gesellschaft, sondern sie wird bewusst gewollt immer stärker flexibilisiert, damit millisekundenschnell Gewinne gemacht werden. Dass diese Feststellung nicht eine theoretische Überspitzung von Einzelfällen ist, zeigt sich daran, dass Betriebsräte Vereinbarungen darüber schließen, wann die elektronischen Nachrichten aus der Firma abgerufen werden müssen/dürfen. Denn langsam schlagen auch die Krankenkassen Stress-Alarm. Oder daran, dass der Kampf um stündliche Verfügbarkeit im Handel zunimmt. Auch daran, dass Kindergärten ihre Öffnungszeiten fast durchgängig an betriebswirtschaftlichen Kriterien ausrichten müssen. Das heißt am Geldbeutel der Eltern.
Da ist nicht die Pluralisierung der Ess- und sonstiger Kultur im Alltag eines Stadtviertels mit 100 Nationalitäten entscheidend, sondern die Arbeitsmöglichkeiten, der Druck auf die Löhne, die politische Duldung der Langzeitarbeitslosigkeit und die geringeren Bildungsangebote. Das sind die Fronten in den Elendsschluchten der Großstädte.

Wenn man das Wissenschaftsgebaren der Drittmittelaufträge, der Stiftungslehrstühle und der Politikberatung genauer betrachtet, erkennt man deutlich: Es wird das geforscht, in mathematische Formeln oder hehre Begriffe gebracht und vor allem publiziert, was den Geld- und Vermögensmillionären bei uns und weltweit zu Gute kommt. Wie kann es sonst sein, dass Ergebnisse der Ökonomen des Internationalen Währungsfonds jahrelang nicht veröffentlicht werden dürfen, weil sonst klar würde, dass falsche Zahlen die Politik der Troika bestimmen und die Reichen immer zahlreicher machen. Dass falsche Ergebnisse von Professoren als Lappalie abgetan werden – Schulden mehr als 90% des BIP würden den Wohlstand gefährden – obwohl sie die „Rettungspolitik“ der Troika beherrschen? Und sie der deutsche Finanzminister immer wieder nennt.
Wie kann es sonst sein, dass 90 % der Lehrstuhlinhaber in den Wirtschaftswissenschaften in Deutschland die „Pferdeäpfeltheorie“ oder seriöser, die Theorie des „Trickle down“ vertreten: der Reichtum tröpfelt theoretisch nach unten – bleibt aber praktisch oben hängen. Es gab mal Zeiten, da haben katholische Sozialethiker von der „Option für die Armen“ gesprochen. Das braucht es wohl nicht mehr in der „großen Transformation zur Nachhaltigkeit“ – Herr Vogt? Reicht da wirklich der Hinweis auf die „Befähigungsgerechtigkeit“ sprich: wirtschaftliche Verwertbarkeit?

Den Rückblick auf die Wissenschaftlichkeit der „Tausend Jahre“ erspare ich mir. Wenn die Analyse nicht tiefer geht, als Gedenkfeiern zur Zerstörung von Gewerkschaftshäusern und Bücherverbrennungen abzuhalten, dann sind wir blind. Wenn die „Opferung“ von Millionen Menschen für die Wettbewerbsfähigkeit in einer globalisierten Welt als notwendig angesehen wird, dann sollten wir nicht von einer europäischen Wertegemeinschaft reden.

Die Botschaft eines Jesus von Nazareth können wir dann gleich ins Himmelreich verlagern. Ob an einen jesuitisch geprägten Franziskus in Rom viele Hoffnungen geknüpft werden können? Der forderte ja zum 1. Mai, die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft müssten "alles tun", um die Beschäftigung zu fördern. Arbeit sei ein "fundamentaler Bestandteil der Menschenwürde" und gehöre zum "Plan der Liebe Gottes". Die Hoffnung stirbt zuletzt