Das Heinrichsblatt berichtet am 22.01.2017 auf Seite 22:
KAB lud Flüchtlinge der ersten Stunde ein
Zeitzeugen berichten
Zu den einschneidendsten Folgen des Zweiten Weltkriegs gehörte für 20 Millionen Menschen in ganz Europa der Verlust ihrer Heimat. Im Rahmen der 22. Interkulturellen Wochen hat der Kreisverband Bamberg-Stadt der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) Zeitzeugen eingeladen, die als Flüchtlinge der ersten Stunde" von ihren Erlebnissen während der Vertreibung sowie über Aufnahme und Lebensbedingungen in der neuen Heimat berichteten.
Für etwa 12 Millionen Deutsche aus den östlichen Gebieten des damaligen Deutschen Reiches sowie den deutschen Siedlungsgebieten in Ost- und Südosteuropa wurden Flucht und Vertreibung zum Schicksal. Etwa 2.1 Millionen von ihnen kamen dabei ums Leben. Rund drei Millionen, vor allem aus Schlesien und dem Sudetenland, fanden in Bayern eine neue Heimat. Zu den Vertriebenen aus dem Sudetenland zählten auch die beiden Zeitzeugen Annelies Fischer und Gottfried Gassmann.
Sie mussten als Kinder mit ihren Familien die alte Heimat verlassen und wie die anderen vertriebenen und geflüchteten Menschen in der neuen Heimat Fuß fassen, dort aufgenommen und integriert werden. Zur seelischen Not kamen materielle Not und eine schlechte Ernährungs- und Wohnsituation.
Dabei war das Schicksal bei der Vertreibung aus dem Sudetenland bei Annelies Fischer und Gottfried Gassmann durchaus unterschiedlich. Annelies Fischer erlebte den Verlust der Heimat im Juni 1946 eher als eine Art Ausweisung, auf die sich die Familie einstellen musste. Ihren Vater hätte man aufgrund seiner besonderen Qualifikation im Betrieb später sogar behalten wollen. Trotzdem siedelte die fünf- köpfige Familie schließlich in die Oberpfalz, wo der Vater Arbeit in einer Glasfabrik fand, und wurde in Weiden sesshaft.
Das frühere Zuhause in Teplitz/Schönau am Fuße des Erzgebirges wurde dennoch noch lange schmerzlich vermisst und ist die eigentliche Heimat von Annelies Fischer geblieben.
Gottfried Gassmann hat die Vertreibung aus Altstadt bei Freudenthal/Troppau (Altvatergebirge) dramatischer erlebt. Nach dem Einmarsch der Roten Armee im Mai 1945 und der Besitznahme des elterlichen Geschäfts durch die Tschechen musste seine Familie nachts umgehend das Haus verlassen und für ein Jahr Zwangsarbeit auf einem Gutshof leisten. 1946 schob man die Familie gegen ihren Willen in die Sowjetische Besatzungszone ab, wo sie mehrere Lager durchlief.
Diese Odyssee wurde schließlich Ende Januar 1947 beendet. Der Vater, der nach seiner französischen Kriegsgefangenschaft nach Bamberg kam, konnte zunächst seine drei Kinder und später dann auch seine Frau dorthin nachholen, wo er inzwischen als gelernter Kaufmann Arbeit bei der Firma Wohlhöfner und später im Volksblatt an der Rotationsmaschine erhalten hatte.
Gottfried Gassmann berichtete von der freundlichen Aufnahme bei der Familie Emil Jöckle, Redakteur beim Neues Volksblatt / St. Heinrichsblatt in der Langen Straße, wo die fünfköpfige Familie in einem Zimmer von rund 16 Quadratmetern unterkam. Die Schwester konnte später bei einer Schulfreundin in der Friedrichstraße schlafen.
Schwere Zeiten mit Geldnot und dem Stigma des Flüchtlings begleitete nun die Familie.
Von besonderer Bedeutung wurde für Gottfried Gassmann die Katholische Kirche in Bamberg. Hier fand er Halt und Heimat, nicht zuletzt durch sein Engagement als Ministrant in St. Martin und Maria Hilf/Wunderburg und als Pfarrführer in der Katholischen Jugend sowie in der Christlichen Arbeiterjugend (CAJ).
Auch für Annelies Fischer wurde die Katholische Kirche zum Fundament ihres Lebens. Sie engagierte sich zunächst in Weiden bei der CAJ, dann bei der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) und wurde schließlich Diözesansekretärin der KAB im Erzbistum Bamberg.
Nach dem Kurzvortrag der beiden Zeitzeugen im Pfarrheim Maria Hilf/Wunderburg schloss sich eine lebhafte Diskussion an, bei der man sich einig war, dass die Kirche damals wie heute eine starke integrierende Kraft sei für Menschen, die eine neue Heimat suchen müssen. Renate Zeißner