Es gibt was Neues in der deutschen katholischen Soziallehre. Die Kommission VI der Bischofskonferenz hat Ende Juni einen Impulstext herausgegeben: Chancengerechte Gesellschaft. Leitbild für eine freiheitliche Ordnung.
Das Leitbild für Christen, so meint man, ist doch wohl das Leben Jesu. Er wollte den Armen eine Frohe Botschaft bringen. Dabei hat er sich dem Verdacht ausgesetzt, dass er mit Sündern und Säufern, mit verhassten Zöllnern und verachteten Dirnen zusammen ist. Sogar mit kopftuchtragenden Samariterinnen. Und er hat die Händler aus dem Tempel gejagt. Mit tödlichen Folgen.
Ich versuche, das Leitbild aus der deutschen Bischofskonferenz mit den Impulsen aus der Bibel zu vergleichen. Da fällt mir auf, dass bei den Professoren, die das geschrieben haben, immer wieder eine versteckte Berührungsangst vor der Unterschicht und den Migranten durchscheint.
aber oftmals gibt es in unserem Land auch eine nur gefühlte Ungerechtigkeit. Gleichwohl sind die Sorgen und die Verunsicherung der Menschen ernst zu nehmen. S.9 Diese Gruppe bleibt von vielen Formen gesellschaftlicher Beteiligung ausgeschlossen. Teils verfügt sie tatsächlich über weniger Chancen, teils nutzt sie aber auch vorhandene Chancen zu wenig S.13 Er (der Staat) muss diese Gruppe entweder massiv unter Druck setzen, um sie in den Arbeitsmarkt zu integrieren, oder er findet sich damit ab, dass diese Gruppe dauerhaft alimentiert werden muss. S.14 Denn ein wesentlicher Grund für die unzureichende soziale Mobilität in unserer Gesellschaft liegt darin, dass vorhandene Chancen zum Aufstieg (z. B. durch Schulbildung) von den Betroffenen nicht wahrgenommen werden. Um dem entge-genzuwirken, bedarf es entsprechender gesellschaftlicher Anreizstrukturen. S.22Insbesondere jüngere Menschen könnten mit einem bedingungslosen Grundeinkommen zu geringe Anreize haben, eine gute Schulbildung und Ausbildung zu absolvieren. S.31
Das ist nur eine Auswahl, es gibt noch mehr solcher Aussagen. Ist das ein biblisch geprägtes Leitbild? Hätte Jesus gesagt: Denen muss man Anreizstrukturen schaffen, auf gut Deutsch: in den Hintern treten? Oder hat er nicht vielmehr die arme Witwe und die Dirne, die mit ihren üppigen Haaren seine Füße trocknete, gegenüber den Selbstgerechten aus der Oberschicht Israels verteidigt? Was hätte Jesus wohl mit einem wütenden Arbeitslosen gemacht, der schon 100 Bewerbungen geschrieben hat? Hätte er von gefühlter Ungerechtigkeit geredet? Oder davon, dass er sich wohl vor einer qualifizierten Ausbildung gedrückt hat?
Eine mehr wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Leitbild einiger deutscher katholischer Soziallehrer findet der geneigte Leser unter:
Chancengerechte Gesellschaft _Stellungnahme Juni 2011 (pdf, 130 KB)